VOR•URTEILE HINTER•FRAGEN

Menschen ohne Behinderungen sind oft unsicher beim Kontakt mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Das kann viele Gründe haben, zum Beispiel Angst davor, etwas falsch zu sagen oder zu machen. Auch die Verlegenheit und der Versuch, so zu tun, als ob alles „ganz normal“ wäre und die Begegnung „wie immer“ verlaufen müsste, kann Unsicherheiten hervorrufen. Wir können uns jedoch unbefangener begegnen und eine vorurteilsfreiere Gesellschaft gestalten, wenn wir anerkennen, wie unterschiedlich wir sind, und wenn wir zugeben, dass wir voneinander und auch aus Fehlern lernen können. Die verbreiteten Vorurteile zu hinterfragen, ist ein wichtiger Schritt aufeinander zu und führt zu einem besseren Miteinander.

Als Anregungen zum VOR•URTEILE HINTER•FRAGEN stellen wir eine Auswahl von Statements von Personen mit Down-Syndrom vor sowie Hintergrundwissen und Bildungs-Tipps. Genannt haben wir es das ETI-Paket.

Menschen mit Down-Syndrom sagen uns, was Vorurteile sind, welche Vorurteile sie kennen und was sie davon halten

Welche Vorurteile über Menschen mit Down-Syndrom gibt es? Was denken Menschen mit Down-Syndrom selbst darüber und was erleben sie in ihrem Alltag? Wir haben Leonard Ley dazu befragt:

Was sind für dich Vorurteile?
Leonhard Ley: „Vorurteile. Ich würde sagen, Dinge die man meint zu wissen über jemanden, – die aber nicht stimmen. Zum Beispiel, dass Down-Syndrom eine Krankheit ist oder ähnliches Zeug in der Richtung.“

Was kann man gegen Vorurteile tun?
Leonhard Ley: „Das schwierige an Vorurteilen ist, dass sie tief in uns drin verwurzelt sind. Aber man kann eine Sache tun: Man kann täglich daran arbeiten, ein Vorurteil weniger zu haben.“
Leonhard Ley: „Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Aber mein Rat: Versuche jeden Tag ein Vorurteil weniger zu haben.“

Auf seinem eigenen YouTube-Kanal stellt Leonhard Ley Vorurteile über Menschen mit Down-Syndrom richtig und erklärt, was es bedeutet, Trisomie 21 zu haben.

Wie ist es, mit dem Down-Syndrom zu leben? DS-Akademie-Seminar „Erklär mir dein Leben“

Am 3. Februar 2024 traf sich eine Gruppe junger Erwachsener mit Down-Syndrom beim Bildungsseminar der DS-Akademie „Erklär mir dein Leben“. Zunächst hat die Gruppe ihr Wissen zu der Frage „Was ist das Down-Syndrom?“ sortiert, im nächsten Schritt sind die Teilnehmenden auf die Frage „Wie ist es, mit Down-Syndrom zu leben?“ eingegangen. Helene meinte „Ich kenne es nicht anders“, Joe sagte spontan „Ich liebe mich“ und Ludwig betonte „Ich habe das Down-Syndrom und fühle mich wie normal“. Während der Diskussion wurde klar, dass die Teilnehmenden im Alltag mit Vorurteilen zu tun haben. Welche Vorurteile den Teilnehmer:innen begegnen, haben wir in einer Schublade gesammelt. Uns hat auch interessiert, was sie selbst und was die Gesellschaft dafür tun können, damit es weniger oder keine Vorurteile gegenüber Menschen mit Down-Syndrom gibt. „Wir können uns wehren. Wir können die Vorurteile an uns abprallen lassen.“ – war eine der Ideen. Dass nicht jede:r das so gut kann, wurde auch thematisiert. Es wurde uns klar, dass allein das Wissen darüber, wie Personen mit Down-Syndrom leben, nicht genügt. Denn Informationen im Kopf zu speichern, ist zu wenig. Es muss auch etwas in den Herzen passieren – zum Beispiel durch die Begegnungen und Erfahrungen. Zum Abschluss des Seminars wurde die Schublade mit den Vorurteilen geleert und die Gruppe hat eine Liste der Vorteile im Leben mit Down-Syndrom für sich erstellt.

Menschen mit Down-Syndrom forschen zum Thema: TOUCHDOWN21

Das Forschungsinstitut TOUCHDOWN21, in dem Menschen mit und ohne Down-Syndrom gemeinsam forschen, hat eine Studie zum Thema Vorurteile veröffentlicht. Außerdem wurden Menschen mit Down-Syndrom im Rahmen eines Forschungsprojekts dazu interviewt, wie sie selbst genannt werden wollen.

Wir stellen einige theoretische Überlegungen zum Thema Vorurteile vor

Was sind Vorurteile?

Vorurteile begegnen uns jeden Tag. Jede:r hat Vorurteile. Paradoxerweise erkennen wir Vorurteile bei anderen schnell; unsere eigenen sind uns oft nicht bewusst. Das „Einordnen“ von Menschen ist evolutionsbiologisch vorgesehen, damit wir die Welt besser sortieren und uns leichter darin zurechtfinden können. Diese „Einordnungen“ gilt es zu hinterfragen. Der Begriff Vorurteil wird verwendet, wenn (positive und negative) Urteile vorliegen, die wir für nicht realitätsgerecht halten. Da wir in unseren Urteilen nur unsere Sichtweise wiedergeben (können) und Urteile aber gleichzeitig Verallgemeinerungen enthalten, enthält quasi jedes Urteil, jede Bewertung, auch ein „Vor-Urteil“.
Genauer beschreibt das Werner Bergmann auf der Website der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Vorurteile über Menschen mit Beeinträchtigung

Menschen ohne Behinderungen sind oft unsicher beim Kontakt mit Menschen, die mit Behinderungen leben – auch weil sie einer Begegnungs-Situation den Anschein der Normalität geben wollen. Sie haben Angst, falsch zu reagieren oder etwas Falsches zu sagen.
Solche Begegnungs-Situationen sind nicht alltäglich. Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen treffen wenig aufeinander: Sie halten sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Räumen/Systemen auf, arbeiten und wohnen nicht gemeinsam, sie begegnen sich kaum auf der Straße, geschweige denn sind sie einander bekannt oder miteinander befreundet. Menschen mit Behinderungen sind nicht präsent in unserer Gesellschaft und sind auch medial immer noch unterrepräsentiert. Das fördert Vorurteile. Echte Inklusion würde mehr Begegnungen im Alltag schaffen und helfen, Vorurteile abzubauen.
Weitere Hintergrundinformationen liefert Peter Widmann auf der Website der Bundeszentrale für Politische Bildung.

„Menschen mit Behinderung sind grundsätzlich hilfsbedürftig.“ Oder? Aktion Mensch hat die häufigsten Vorurteile einem Fakten-Check unterzogen.

Das Handeln ist angesagt: Es gibt inspirierende Konzepte für kleine und große Menschen, wie wir alle mit Vorurteilen umgehen können.

Keiner will sie haben, alle haben sie. Was kann man gegen Vorurteile tun?

Vorurteilsbewusste Erziehung in KiTa und Schule

Kita-Fachtexte hat eine sehr lesenswerte Publikation zum Vorurteilsbewussten Erziehen für Kita-Personal (aber auch für Eltern) veröffentlicht: „Vorurteile in der frühen Kindheit und die pädagogischen Konsequenzen“, Autorin: Caroline Ali-Tani.

Ziele der vorurteilsbewussten Erziehung sind demnach:

  1. Kinder in ihren Identitäten stärken: Jedes Kind und jede Familienkultur muss in der Einrichtung sichtbar sein.
  2. Vielfalt erkennen und Empathie entwickeln: Gemeinsamkeiten und Unterschiede thematisieren
  3. Einseitigkeiten thematisieren und kritisieren (Aufgabe der Fachkräfte)
  4. Aktiv werden gegen Unrecht und Diskriminierung: Kinder ermutigen, sich selbst (für andere) einzusetzen.

Fachstelle „Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Erziehung“

Inklusion in der Praxis: Die Fachstelle „Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Erziehung“ gibt Medien- und Material-Tipps für Eltern und Fachkräfte aus Kindergarten und Schule heraus. Beispielsweise werden vorurteilsbewusste Kinderbücher nach dem „Anti-Bias-Prinzip“ (Louise Derman-Sparks) und dem „Situationsansatz“ vorgestellt. Nachzulesen ist eine Checkliste zur vorurteilsbewussten Einschätzung von Kinderbüchern mit Fragen wie:

  • Werden alle Personen vielfältig und nicht stereotyp dargestellt (in Bezug auf ihre Kleidung, körperlichen Merkmale, Frisuren, Mimik)? Werden alle Kinder in ihrer Individualität mit unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten dargestellt oder geschieht dies einseitig?
  • Wer macht was? Übernimmt beispielsweise auch ein Kind mit Behinderung eine aktive Rolle (z. B. bei einer Problemlösung), trifft es selbstbestimmt Entscheidungen und übernimmt es auch einmal die Führung?

Dazu passend empfehlen wir den folgenden Artikel aus unserer Fachzeitschrift Leben mit Down-Syndrom: Vielfalt im Kinderzimmer

Materialien der Aktion Mensch

Aktion Mensch stellt Gratis-Material für Pädagog:innen zum Bestellen und zum Download zur Verfügung, darunter das Themen-Heft „Anderssein – Vielfalt, Vorurteile, Inklusion“.

Zum Weiterlesen

Auf unserer Seite Dein T21-Referat gibt es mehr Informationen rund um das Down-Syndrom.

Zum Weiterhören

ARD-Podcast „Menschen mit Behinderungen: Schluss mit Vorurteilen“

Die Neue Norm – Magazin und Podcast für Disability Mainstreaming: „Das Online-Magazin DieNeueNorm.de möchte gängige Standards und Muster hinterfragen, die Nicht-Norm feiern und Behinderung in neue Kontexte bringen.“

Zum Weiterschauen

Medienwerkstatt Franken: Filme zu „Menschen mit Beeinträchtigung“ und „Inklusion“ (Special zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, 3. Dezember)